Täter & Täterinnen
Biografien

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Mann in SS-Uniform © WStLA
Erich Rajakowitsch © WStLA
Profilaufnahme eines Mannes in Nadelstreifenanzug, weißem Hemd und Nadelgestreifter Fliege. © Deutsches Bundesarchiv
Erich Rajakowitsch © Deutsches Bundesarchiv

Dr. Erich Rajakowitsch

SS-Obersturmführer

geb. 23. November 1905, Triest
verst. 14. April 1988


Erich Rajakowitsch wächst in der Hafenstadt Triest auf, die damals zum Habsburger Kaiserreich gehört. Sein ursprünglich aus Laibach/Ljubljana stammender Vater ist Lehrer an der deutschsprachigen Staatsrealschule. Nach dem Ersten Weltkrieg übersiedelt die Familie nach Graz, wo Rajakowitsch 1923 maturiert. Er studiert zunächst an der Technischen Hochschule, wechselt dann auf die Universität Graz, wo er 1931 in Rechtswissenschaften promoviert. Nach dem Gerichtsjahr arbeitet er bis 1937 als Konzipient in einer Grazer Anwaltskanzlei. Er ist während dieser Zeit Mitglied des Akademischen Corps Teutonia zu Graz, einer deutsch-nationalen schlagenden Studentenverbindung. Von 1923 bis zu dessen Verbot gehört er dem Steirischen Heimatschutz an, von 1933 bis 1938 der illegalen SA. Nach dem Juli-Putsch 1934 verbringt er zehn Tage in Haft.

 

Kurz zuvor heiratet Rajakowitsch Annemarie Rintelen, die Tochter des steirischen Landeshauptmanns. Das erste von zwei Kindern wird 1936 geboren. 1937 übersiedelt Rajakowitsch nach Wien, um eine Stelle in der Kanzlei Dr. Heinrich Gallop anzutreten. Nach dem »Anschluss« entwickeln die beiden Juristen ein einträgliches Geschäftsmodell: Als Gegenleistung für die Erledigung von Ausreiseformalitäten lassen sie sich das Vermögen ihrer wohlhabenden Klient:innen übertragen. Für die Zentralstelle für jüdische Auswanderung – zuerst in Wien, später in Prag – entwirft Rajakowitsch ein ähnlich profitables Modell der Vermögenstransaktion: Es gilt das Prinzip »Arisierung« gegen Auswanderung. Rajakowitsch gilt auch als Urheber der »Aktion Gildemeester«, die die Auswanderung mittelloser »Nichtarier« durch wohlhabende finanzieren lässt. Ende 1938 wechselt Rajakowitsch in die Kanzlei Dr. Hugo Weber, die er ab Ende 1939 selbstständig führt. Er bezieht die »arisierte« Wohnung eines Berufskollegen in Wien 18., Colloredogasse 38.

 

Rajakowitsch, der mit 1. Mai 1938 in die NSDAP aufgenommen wird, tritt im Herbst 1939 in die SS ein. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter des SD berät er die Zentralstelle für jüdische Auswanderung. Er schafft den juristischen Rahmen für die »Endlösung der Judenfrage« und betreibt sie vom Schreibtisch aus. 1940 wechselt er dafür zum Eichmann-Referat nach Berlin. Ab 1941 übernimmt er die Leitung des »Gestapo-Sonderreferats J« in Den Haag. Im Oktober 1943 meldet er sich zur Waffen-SS. Rajakowitsch, der sich Anfang 1944 von seiner Frau scheiden lässt, dient bis Kriegsende an der russischen Front.

 

1945 gerät Rajakowitsch kurzzeitig in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Da er gut Italienisch spricht, versucht er sich als Geschäftsmann in seiner Geburtsstadt Triest. Angesichts eines Haftbefehls setzt sich Rajakowitsch nach Argentinien ab, wo seine beiden Kinder, seine Ex-Frau und deren Lebensgefährte leben, der ebenfalls als Kriegsverbrecher gesuchte Armin Dadieu. Erst die Bestätigung, auf freiem Fuß belassen zu werden, bewegt ihn zur Rückkehr nach Europa.

 

Nachdem ein erstes gegen ihn anhängiges Strafverfahren 1953 eingestellt wird, nimmt man 1961 erneut Ermittlungen auf. Auslöser ist der Eichmann-Prozess. Rajakowitsch, der sich jetzt Raja nennt, stellt sich 1963 der Justiz. Er, den der öffentliche Ankläger als »den klügsten« unter Eichmanns Mitarbeitern bezeichnet, behauptet, nichts von der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden gewusst zu haben. Das Verfahren findet breite mediale Aufmerksamkeit, besonders wegen Rajakowitschs Tätigkeit in den Niederlanden und seiner Mitverantwortung für die Ermordung Anne Franks. Er wird 1965 des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshafte Handlungen schuldig befunden und zu zweieinhalb Jahren schweren Kerkers verurteilt.Unter Anrechnung der Untersuchungshaft kommt er nach einem halben Jahr frei. Bis zu seinem Tod 1988 beschäftigt Rajakowitsch die Gerichte mit wiederholten Anträgen auf Wiederaufnahme des Verfahrens und führt Beschwerde durch alle Instanzen.

Erich Rajakowitsch wächst in der Hafenstadt Triest auf, die damals zum Habsburger Kaiserreich gehört. Sein ursprünglich aus Laibach/Ljubljana stammender Vater ist Lehrer an der deutschsprachigen Staatsrealschule.[1] Nach dem Ersten Weltkrieg übersiedelt die Familie nach Graz, wo Rajakowitsch 1923 maturiert. Er studiert zunächst an der Technischen Hochschule (heute: TU Graz), wechselt dann auf die Universität Graz, wo er 1931 in Rechtswissenschaften promoviert. Nach dem Gerichtsjahr arbeitet er bis 1937 als Konzipient in einer Grazer Anwaltskanzlei.[2] Rajakowitsch ist während dieser Zeit Mitglied des Akademischen Corps Teutonia zu Graz, einer deutsch-nationalen und antisemitischen, schlagenden Studentenverbindung. Von 1923 bis zu dessen Verbot gehört er dem Steirischen Heimatschutz an, von 1933 bis 1938 der illegalen SA.[3] Nach dem Juli-Putsch 1934 verbringt er zehn Tage in Haft.[4]


Noch kurz zuvor, im Juni 1934, berichteten die Gesellschaftsblätter von Rajakowitsch‘ Vermählung und den anschließenden Flitterwochen in Venedig.[5] Seine Braut ist Annemarie Rintelen, Tochter des christlichsozialen Politikers und steirischen Landeshauptmanns Anton Rintelen.[6] Das erste von zwei Kindern wird 1936 geboren. Ende 1937 übersiedelt Rajakowitsch nach Wien, um eine Stelle in der Kanzlei Dr. Heinrich Gallop anzutreten.


Nach dem „Anschluss“ im März 1938 entwickeln die beiden Juristen ein einträgliches Geschäftsmodell: Als Gegenleistung für die Erledigung von Ausreiseformalitäten lassen sie sich das Vermögen ihrer wohlhabenden Klient:innen übertragen. Für die Zentralstelle für jüdische Auswanderung – zuerst in Wien, später in Prag – entwirft Rajakowitsch ein ähnlich profitables Modell der Vermögenstransaktion: Es gilt das Prinzip „Arisierung“ gegen Auswanderung. Rajakowitsch gilt auch als Urheber der „Aktion Gildemeester“, die die Auswanderung mittelloser „Nichtarier“ durch wohlhabende finanzieren lässt. Ende 1938 wechselt Rajakowitsch in die Kanzlei Dr. Hugo Weber mit Sitz in Wien, 1., Innere Stadt, Schottenring 8, Ecke Hessgasse 6, die er ab Ende 1939 selbstständig führt.[7] Er bezieht die „arisierte“ Wohnung eines Berufskollegen in Wien, 18., Währing, Colloredogasse 38.[8]


Rajakowitsch, der mit 1. Mai 1938 in die NSDAP aufgenommen wird, tritt im Herbst 1939 in die SS ein. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter des SD berät er die Zentralstelle für jüdische Auswanderung.[9] Darüber hinaus schließt sich Rajakowitsch der SS-Delegation nach Nisko an und durchläuft dort eine erste militärische Schulung. Zu seinen Aufgaben im Lager gehört angeblich die Zensurierung der Häftlingspost.[10] Eichmann zollt Rajakowitsch dafür Respekt: Der „überdurchschnittliche Jurist“ habe bewiesen, sich „in allen Lebenslagen“ zurechtzufinden.[11]


Aus derart schmutzigem Geschäft hält sich Rajakowitsch üblicherweise fern. Er schafft den juristischen Rahmen für die „Endlösung der Judenfrage“ und betreibt sie vom Schreibtisch aus. 1940 wechselt Rajakowitsch dafür zum Eichmann-Referat nach Berlin. Ab 1941 übernimmt er in den Niederlanden die Leitung des Gestapo-Sonderreferats J in Den Haag. Im Oktober 1943 meldet sich Rajakowitsch zur Waffen-SS und absolviert einen Offizierslehrgang in Bad Tölz. Trotz genügender theoretischer militärischer Kenntnisse reicht es aufgrund der fehlenden praktischen Ausbildung nur für ein Ausbildungsbataillon.[12] Rajakowitsch, der sich Anfang 1944 von seiner Frau scheiden lässt,[13] dient bis Kriegsende an der russischen Front.[14] Während seiner Abwesenheit führt sein Schwager Anton Rintelen jun. die Wiener Kanzlei.[15]


1945 gerät Rajakowitsch kurzzeitig in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Da er gut Italienisch spricht, versucht er sich als Geschäftsmann in seiner Geburtsstadt Triest. Angesichts eines Haftbefehls setzt sich Rajakowitsch nach Argentinien ab, wo seine beiden Kinder, seine Ex-Frau und deren Lebensgefährte leben, der ebenfalls als Kriegsverbrecher gesuchte Armin Dadieu.[16] Erst die Bestätigung, auf freiem Fuß belassen zu werden, bewegt ihn zur Rückkehr nach Europa. 1953 baut er eine Zweigstelle seiner Import-Exportfirma Enneri & Co. in Mailand auf.[17] 1957 heiratet er seine Mitarbeiterin Giulona Tendella[18] und bezieht mit ihr eine Villa am Luganer See.


Nachdem ein erstes gegen Rajakowitsch anhängiges Strafverfahren 1953 vom Landesgericht Graz eingestellt wird, nimmt man 1961 erneut Ermittlungen auf.[19] Auslöser ist der Prozess gegen Adolf Eichmann. Rajakowitsch, der sich jetzt Raja nennt, stellt sich 1963 der Justiz. Er, den der öffentliche Ankläger als „den klügsten“ unter Eichmanns Mitarbeitern bezeichnet, behauptet, nichts von der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden gewusst zu haben.[20] Das Verfahren findet breite mediale Aufmerksamkeit, besonders wegen Rajakowitschs Tätigkeit in den Niederlanden und seiner Mitverantwortung für die Ermordung Anne Franks.[21] 1965 wird Rajakowitsch des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshafte Handlungen schuldig befunden und zu zweieinhalb Jahren schweren Kerkers verurteilt.[22] Unter Anrechnung der Untersuchungshaft kommt er nach einem halben Jahr frei. Bis zu seinem Tod 1988 beschäftigt Rajakowitsch die Gerichte mit wiederholten Anträgen auf Wiederaufnahme des Verfahrens und führt Beschwerde durch alle Instanzen.

[1] BArch Berlin, BDC: Personenbezogene Unterlagen SS und SA, Sign. R 9361-III/157800. Kleine SS-Ahnentafel.

[2] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, fol. 151–151f. Vernehmung des Beschuldigten Erich Raja, 23.4.1963. Vgl. Erich Raja, Kopfjagd auf Rajakowitsch, Heusenstamm bei Offenbach/Rhein 1966, 7.

[3] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, unfol. Lebenslauf.

[4] Ebd., Bd. I, unfol. Personal-Bericht.

[5] Grazer Tagblatt, 29.5.1934, 4; Wiener Salonblatt, 17.6.1934, 8.

[6] Annemarie geb. Rintelen, 21.7.1911, Prag, verst. 2001; verh. (1) Rajakowitsch, 1934; (2) Dadieu, 1966.

[7] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, fol. 159. Polizeidirektion Wien, Bericht, 19.4.1963.

[8] Dr. jur. Otto Harpner, Rechtsanwalt, geb. 23.8.1900, Wien, verst. 1959, UK. Barbara Sauer/Ilse Reiter-Zatloukal, Advokaten 1938, Wien 2010, 172.

[9] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, unfol. Beförderungsvorschlag.

[10] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, fol. 151–151f. Vernehmung des Beschuldigten Erich Raja, 23.4.1963. Vgl.: Raja, Kopfjagd auf Rajakowitsch, 9.

[11] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, unfol. Personal-Bericht.

[12] BArch Berlin, BDC: Personenbezogene Unterlagen SS und SA, Personalakte, Sign. R 9361-III/549079, fol. 1079. Beurteilung, 17.4.1944.

[13] WStLA, LGfZRS, A24, Zl. 29 Cg 11/44.

[14] Raja, Kopfjagd auf Rajakowitsch, 12.

[15] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, fol. 151–151f. Vernehmung des Beschuldigten Erich Raja, 23.4.1963.

[16] Dr. techn. Armin Dadieu, Chemiker, geb. 20.8.1901, Brunndorf nahe Maribor, verst. 6.4.1978, Graz; ranghoher SS-Offizier, ehem. Gaudozentenbundführer in der Steiermark.

[17] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, fol. 151n–151qu. Vernehmung des Beschuldigten Erich Raja, 29.4.1963.

[18] Pfarre r. k. Graz-St. Leonhard, Trauungsbuch XXI, Sign. 516, fol. 200.

[19] Siehe: Eva Holpfer, Die justizielle Verfolgung der Mitarbeiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ nach 1945, in: Dieter J. Hecht/Michaela Raggam-Blesch/Heidemarie Uhl (Hg.), Letzte Orte: Die Wiener Sammellager und die Deportationen 1941/42 , Wien 2019, 187–206.

[20] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. I, fol. 151k–151n. Vernehmung des Beschuldigten Erich Raja, 26.4.1963.

[21] Siehe z. B.: Dino Frescobaldi, Collaboratore di Eichmann identficato dal Centro ebraico, Corriere della Sera, 6.4.1963; Tito Sansa, Mandò a morire nei ‚Lager‘ tedeschi Anna Frank e migliaia di altri bimbi, La Stampa, 7.4.1963.

[22] WStLA, LGfSS, A11, Vr-Strafakten, Zl. 8896/61, Bd. V, fol. 283–287. Urteil, 2.3.1965.