geb. 24. August 1911, Tulln
hing. 4. Februar 1947, Wien
Siegfried Seidl wird als Sohn eines Friseurmeisters in Tulln geboren. Sein Vater fällt 1915 im Ersten Weltkrieg. Seidl besucht das Gymnasium in Klosterneuburg und legt 1930 die Matura in Horn ab. Anschließend inskribiert er an der juridischen Fakultät der Universität Wien, bricht das Studium aber nach wenigen Semestern ab. Zunächst lebt Seidl von Gelegenheitsarbeiten. Ab 1935 studiert er Deutsch und Geschichte und verfasst 1938 eine Dissertation zu einem österreichischen Freiherrengeschlecht.
Seidl, der bereits als Kind im Deutschen Turnerbund organisiert ist, tritt 1928 in den Niederösterreichischen Heimatschutz ein. Er wird 1930 Mitglied der NSDAP. 1931 tritt Seidl in die SA ein, 1932 in die SS über. Während der Verbotszeit betätigt er sich illegal. Zum Zeitpunkt des »Anschlusses« ist er Sturmbannadjutant und Fürsorgereferent der SS. Im Zivilberuf arbeitet Seidl bei der Flugmotorenfabrik Austro-Fiat als Werkluftschutzleiter.
Im Frühjahr 1939 heiratet Seidl die Kindergärtnerin Elisabeth Stieber, genannt Liesl, die, wie er, bereits vor der Verbotszeit zur Bewegung gestoßen war. Sie ist Mitglied der NSDAP und der NS-Frauenschaft, Führerin einer Jugendgruppe und förderndes Mitglied der SS. Die Frischvermählten beziehen eine Wohnung in Wien 9., Servitengasse 18, unweit der Schwiegereltern. Dem jüdischen Ehepaar, das hier mit zwei Söhnen wohnt, gelingt die Flucht in das damalige Palästina.
Seidl tritt Ende 1939 in die SIPO und den SD ein. Ab Jänner 1940 ist er zunächst in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, dann im RSHA in Berlin unter Adolf Eichmann beschäftigt. Im Sommer 1940 wechselt Seidl zum SD-Leitabschnitt Posen, wo er für die Umsiedlung der jüdischen Bevölkerung verantwortlich ist. Von Marburg/Maribor aus organisiert er 1941 die Evakuierung der slowenischen Bevölkerung aus der Südsteiermark. In diese Zeit fallen seine Promotion zum Doktor der Philosophie an der Universität Wien und die Geburt des ersten Kindes.
Im Oktober 1941 betraut man Seidl als ersten Lagerkommandanten mit dem Aufbau des KZ Theresienstadt im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren. Er ist dort für die Lagerordnung verantwortlich, die für geringste Übertretungen die Todesstrafe androht. Unter Seidl werden über 121.000 Menschen nach Theresienstadt deportiert. Nach 1942 überwacht er persönlich die Transporte von rund 44.000 Menschen in die Vernichtungslager im Osten.
Im Juli 1943 erfolgt Seidls Ernennung zum Lagerinspektor des KZ Bergen-Belsen. Dass er die dortigen Verhältnisse rückblickend als »gut« beschreibt, mag mit seinen familiären Verhältnissen zusammenhängen: In Bergen-Belsen wird das zweite von drei Kindern geboren. Im Frühjahr 1944 beruft man Seidl in das KZ Mauthausen und dann nach Ungarn. Mitte 1944 kehrt er als stellvertretender Leiter des Sondereinsatzkommandos Eichmann nach Wien zurück. In Seidls Zuständigkeitsbereich fällt der Arbeitseinsatz deportierter ungarischer Jüdinnen und Juden.
Zu Kriegsende taucht Seidl unter falschem Namen unter. Seine Verhaftung gelingt im Juli 1945 in Wien. Ende 1946 verurteilt das Volksgericht Seidl wegen der Verbrechen des Hochverrats, der Quälereien und Misshandlungen zum Tod durch den Strang und Vermögensverfall. Im Speziellen kann ihm der Mord an sechzehn jüdischen Häftlingen nachgewiesen werden, die Seidl 1942 wegen Briefschmuggels hinrichten ließ. Das Todesurteil wird im Februar 1947 vollstreckt.
Siegfried Seidl wird als Sohn eines Friseurmeisters in Tulln geboren.[1] Sein Vater fällt 1915 im Ersten Weltkrieg.[2] Seidl besucht das Gymnasium in Klosterneuburg und legt 1930 die Matura in Horn ab. Anschließend inskribiert er an der juridischen Fakultät der Universität Wien, bricht das Studium aber nach wenigen Semestern ab.[3] Zunächst lebt Seidl von Gelegenheitsarbeiten: 1932–1933 etwa arbeitet er als Heizer im Bundeskanzleramt. Ab 1935 studiert er Deutsch und Geschichte und verfasst 1938 eine Dissertation zu einem österreichischen Freiherrengeschlecht.[4] Während dieser Jahre wohnt er im Porzellaneum, einem Studierendenheim in Wien, 9., Alsergrund; später zieht er zu seiner Mutter nach Wien, 2., Leopoldstadt.
Seidl, der bereits als Kind im Deutschen Turnerbund organisiert ist, tritt 1928 in den Niederösterreichischen Heimatschutz ein. Er wird 1930 Mitglied der NSDAP. 1931 tritt Seidl in die SA ein, 1932 in die SS über.[5] Während der Verbotszeit betätigt er sich illegal. Zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ ist er Sturmbannadjutant und Fürsorgereferent der SS.[6] Im Zivilberuf arbeitet Seidl bei der Flugmotorenfabrik Austro-Fiat als Werkluftschutzleiter.
Im Frühjahr 1939 heiratet Seidl die Kindergärtnerin Elisabeth Stieber, genannt Liesl,[7] die, wie er, bereits vor der Verbotszeit zur Bewegung gestoßen war. Ihr Vater, ein Installateur, ist Sekretär der NSDAP-Ortsgruppe Liechtenstein im 9. Bezirk.[8] Sie ist Mitglied der NSDAP und der NS-Frauenschaft, Führerin einer Jugendgruppe und förderndes Mitglied der SS.[9] Die Frischvermählten beziehen eine Wohnung in der Servitengasse 18, unweit der Schwiegereltern. Dem jüdischen Ehepaar, das hier mit zwei Söhnen wohnt, gelingt die Flucht in das damalige Palästina.[10]
Seidl tritt Ende 1939 in die SIPO und den SD ein. Ab Jänner 1940 ist er zunächst in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, dann im RSHA in Berlin unter Adolf Eichmann beschäftigt. Im Sommer 1940 wechselt Seidl zum SD-Leitabschnitt Posen, wo er für die Umsiedlung der jüdischen Bevölkerung verantwortlich ist. Von Marburg/Maribor aus organisiert er 1941 die Evakuierung der slowenischen Bevölkerung aus der Südsteiermark. In diese Zeit fallen seine Promotion zum Doktor der Philosophie an der Universität Wien und die Geburt des ersten Kindes.
Im Oktober 1941 betraut man Seidl als ersten Lagerkommandanten mit dem Aufbau des KZ Theresienstadt im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren.[11] Er ist dort für die Lagerordnung verantwortlich, die für geringste Übertretungen die Todesstrafe androht.[12] Unter Seidl werden über 121.000 Menschen nach Theresienstadt deportiert. Nach 1942 überwacht er persönlich die Transporte von rund 44.000 Menschen in die Vernichtungslager im Osten.
Im Juli 1943 erfolgt Seidls Ernennung zum Lagerinspektor des KZ Bergen-Belsen. Dass er die dortigen Verhältnisse rückblickend als „gut“ beschreibt,[13] mag mit seinen familiären Verhältnissen zusammenhängen: In Bergen-Belsen wird das zweite von drei Kindern geboren. Im Frühjahr 1944 beruft man Seidl in das KZ Mauthausen und dann nach Ungarn. Mitte 1944 kehrt er als stellvertretender Leiter des Sondereinsatzkommandos Eichmann nach Wien zurück. In Seidls Zuständigkeitsbereich fällt der Arbeitseinsatz deportierter ungarischer Jüdinnen und Juden.
[1] Pfarre r. k. Tulln-St. Stephan, Taufbuch, Bd. 15, fol. 78. Eltern: Ernst Seidl, Hedwig geb. Wagner.
[2] Kleinanzeige, Illustrierte Kronen-Zeitung, 11.9.1915, 13.
[3] BArch Berlin, RSHA, Sign. R58/11115, fol. 3. Lebenslauf.
[4] Siegfried Seidl, Die Hauptlinie der Eizinger in Österreich, Diss., Universität Wien, 1938.
[5] BArch Berlin, RSHA, Sign. R58/11115, fol. 3. Lebenslauf.
[6] WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr-Strafakten, Zl. 748/55, Bd. I, fol. 29–30. Niederschrift Dr. Siegfried Seidl, 16.10.1945.
[7] Elisabeth geb. Stieber, 29.7.1916, Maria Enzersdorf, verst. 28.7.1985, Pöggstall; verh. (1) Seidl, (2) Schöbl. Pfarre r. k. Maria Enzersdorf am Gebirge, Taufbuch, Bd. 10, fol. 38.
[8] BArch Berlin, BDC: Personenbezogene Unterlagen SS und SA, Sign. R 9361-III/191843, fol. 1186–1187. Fragebogen.
[9] Ebd., fol. 1223. Lebenslauf.
[10] David Neubauer, geb. 14.9.1898, Ujpest; Salomea Neubauer, geb. Klarsfeld, 31.8.1905. Vgl. Birgit Johler/Maria Fritsche (Hg.), 1938 Adresse: Servitengasse, Wien 2007, 118–120.
[11] Siehe: Gabriele Anderl, Die Kommandanten des jüdischen Ghettos in Theresienstadt. Ein Werkstattbericht, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, Bd. 3, Nr. 4 (1992).
[12] KZ-Kommandant von Theresienstadt und Belsen angeklagt, Das kleine Volksblatt, 7.9.1946, 5.
[13] WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr-Strafakten, Zl. 748/55, Bd. I, fol. 51–63. Vernehmung des Beschuldigten Dr. Siegfried Seidl, 4.6.1946.
[14] Ebd., Bd. I, fol. 29–30. Niederschrift Dr. Siegfried Seidl, 16.10.1945.
[15] WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr-Strafakten, Zl. 770/46. Bestätigung Counter Intelligence Corps, 3.6.1946.
[16] WStLA, Volksgericht, A1, Vg Vr-Strafakten, Zl. 848/47, unfol. Urteil, 14.11.1946.
[17] Siehe: Eva Holpfer, Die justizielle Verfolgung der Mitarbeiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ nach 1945, in: Dieter J. Hecht/Michaela Raggam-Blesch/Heidemarie Uhl (Hg.), Letzte Orte: Die Wiener Sammellager und die Deportationen 1941/42, Wien 2019, 187–206.
[18] Todesurteil vollstreckt, Austria, 25.3.1947, 11.