Dauer­aus­stellung über Die ehe­malige Zentral­stelle für jüdische Aus­wander­ung 


Der historische Ort Prinz-Eugen-Straße 20–22 war von 1938 bis 1943 eines der Zentren des NS-Terrors in Wien. Von hier aus wurden Verbrechen zentral geplant und koordiniert. Folglich fiel unsere Entscheidung, die Installation „Schaltstelle des Terrors“ nicht als Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus zu gestalten, sondern als Täterort, der die Verantwortlichen für den Terror klar benennt. Mit Respekt vor den Opfern wird der Blick auf jene Männer und Frauen gerichtet, die Verbrechen ausführten und persönlichen Profit aus dem Untergang der jüdischen Bevölkerung zogen.

Sophie Lillie &
Arye Wachsmuth


Das öffentliche Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus versteckt sich zu oft hinter den Opfern. Namenstafeln und Stolpersteine erinnern an die Ermordeten und Vertriebenen. Wer aber war für die an ihnen begangenen Verbrechen verantwortlich? Darüber herrschte lange betretenes Schweigen. Doch nur durch den Fokus auf die individuelle Verantwortung für die NS-Verbrechen kann es gelingen, Täterschaft von der abstrakten Vorstellung eines nicht näher definierten Grauens zu entkoppeln und als Ergebnis konkreter Handlungen und Entscheidungen realer Personen zu begreifen.

Es war lange bequemer, sich mit Verfolgten, anstatt mit Nationalsozialisten zu beschäftigen. Am Beispiel von Widerstandskämpfer:innen konnte Österreichs vermeintliche Opposition zum Nationalsozialismus belegt und der Opfermythos untermauert werden. Auch fiel es leichter, toter Juden und Jüdinnen zu gedenken, als sich deren Mörder zu vergegenwärtigen oder sich mit den Lebensrealitäten von Überlebenden auseinanderzusetzen. An einem Ort wie diesem aber muss richtigerweise nach den  Absichten und Motiven der Täter:innen gefragt werden und nach biografischen, ideologischen und situativen Kontexten, die die Verbrechen ermöglichten. Die Biografien von NS-Opfern – die ohne eigenes Zutun zu Opfern wurden – können dazu keine Antworten liefern. Die Tatsache, dass es bis dato in Österreich keine Einrichtung gibt, die sich – ähnlich etwa wie die Berliner Topographie des Terrors – explizit mit der Geschichte

der Täter:innen beschäftigt, war für unsere Entscheidung ebenfalls maßgeblich. Die Gestaltung eines Täterorts im Eingangsbereich der Arbeiterkammer setzt ein unmissverständliches Zeichen im Stadtgefüge und soll darü- ber hinaus Vorbildcharakter haben, um auch andernorts eine öffentliche Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen dauerhaft zu ermöglichen. Es ist kein Gedenkort, sondern ein öffentlich zugänglicher Lernort, der sich an ein breites Publikum richtet und für eine Gegenwart und Zukunft ohne Gewalt und Unterdrückung steht.


Benennung der Täter:innen

Die Dauerausstellung „Schaltstelle des Terrors“ basiert auf der Sichtbarmachung des historischen Orts als zentralen Schauplatz nationalsozialistischen Terrors. Wegweisend für die inhaltliche und formale Gestaltung war es, möglichst paradigmatisch vorzugehen und in der Aussage unmissverständlich zu sein. Im wahrsten Sinn schwarz auf weiß verweisen großformatige, plakative Sätze auf die Geschichte des Ortes. Dieses Framing setzt sich in einzelnen Objekten und kleineren Wandtexten fort, die einerseits auf historische Fakten deuten, andererseits auf unbeantwortete oder auch unbeantwortbare Fragen nach dem Warum. Ein Glasobjekt mit schwarzem Abgrund steht als Metapher für den Holocaust, der sich allen Beschreibungen und Darstellungen entzieht – gleichzeitig aber auf Terror, Unmenschlichkeit und Zerstörungswillen hinweist. Eine Karte mit den Zielorten von Deportationen aus Wien schafft schließlich eine topografische Verbindung zum historischen Ort. 

 

Im Zentrum der Installation finden sich dreißig biografische Abrisse, die den beruflichen Werdegang einzelner Mitarbeiter:innen der Zentralstelle darstellen und die Stationen ihrer Karriere abbilden. Die auf Metalltafeln gedruckten Kurzbiografien entziehen sich einer Auratisierung. Ein offener und innen matt geschwärzter Schaukasten schmälert den Raumeindruck und suggeriert Leere. Die Anordnung der Tafeln im Winkel lässt keine Frontalansicht zu. Für jede Biografie müssen Besucher:innen ihren Standpunkt und Blick wechseln: sich einmal nach links, einmal nach rechts drehen. Eine größere, auf rund sechzig Kurzbiografien erweiterte Auswahl steht online zur Verfügung und gibt erstmals einen detaillierten Überblick über das Personal der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien.

 

Die einzelnen Kurzbiografien machen Gemeinsamkeiten erkennbar. Der typische männliche Mitarbeiter ist um 1910 in Wien geboren, stammt aus einfachen Verhältnissen, absolviert nach der Pflichtschule eine Lehre, die er mit der Gesellenprüfung abschließt. Aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse kommt es zu langer Arbeitslosigkeit. Viele verpflichten sich deshalb beim Bundesheer. Die Zuwendung zur NSDAP erfolgt typischerweise in den frühen 1930er-Jahren. Der Nationalsozialismus liefert Stolz und Status, aber auch Einkommen und Ausbildungsmöglichkeit. Adolf Eichmann setzt bei seiner Personalauswahl bevorzugt auf Kameraden aus der Österreichischen Legion, die sich – wie er selbst – ab 1933 aufgrund des Verbots der NSDAP nach Deutschland absetzen und erst 1938 in die Heimat zurückkehren.

 

Dieser harte Kern der „Alten Kämpfer“ unterstützt Eichmann zunächst in Wien, später in Prag und Berlin, und er entsendet sie als Deportationsexperten quer durch das besetzte Europa. Ihre Blutspur zieht sich von Wien über Paris und Südfrankreich bis Thessaloniki und schließlich in die ungarische Hauptstadt Budapest, deren stolze jüdische Gemeinde Eichmanns Männer 1944 innerhalb nur weniger Wochen vernichten. Alle drei Kommandanten des Konzentrationslagers Theresienstadt – Siegfried Seidl, Anton Burger und Karl Rahm – gehen aus der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien hervor.

 

Das administrative Tagesgeschäft der Zentralstelle erledigen weibliche Hilfskräfte. Ein zentrales Anliegen unserer Arbeit ist die Abbildung der Lebensläufe dieser Frauen, die in der Forschung bis dato nur am Rande vorkommen. Die typische Büroangestellte ist zehn Jahre jünger als ihre männlichen Vorgesetzten und hat nach der Pflichtschule eine Handelsschule besucht oder einen Schreibmaschinenkurs beim Bund Deutscher Mädel (BDM) absolviert. Die älteren unter ihnen haben eigenständige Verbindungen zur NSDAP aus der Verbotszeit vor 1938, die jüngeren kommen aus den NS-Vorfeldorganisationen. Vielfach rekrutiert sich das Korps der Kanzleikräfte über Empfehlung einer Freundin oder Schwester.

 

Nicht selten ergeben sich am Arbeitsplatz intime Beziehungen zu den SS-Vorgesetzten; arbeitsrechtliche Konsequenzen solcher Verbindungen sind nicht überliefert. Darüber hinaus werden in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung auffallend viele Ehen gestiftet: neben Alois und Anna Brunner gehören Leopoldine und Karl Bögner, Rosl und Günther Günnel, Leopoldine und Rudolf Melichar sowie Emilie und Richard Buchholz zu jenen Paaren, die im Sicherheitsdienst des Reichsführers SS ihr privates Glück finden.

 

Die Mitarbeiterinnen der Zentralstelle sind keine Entscheidungsträgerinnen, aber wesentliches Rad im Terrorapparat: Sie sorgen für dessen reibungslosen Ablauf. Einzelne Frauen – wie etwa die Polizeibeamtin Hertha Habermüller, die für die Ausstellung von Reisepässen für jüdische „Auswanderer“ zuständig ist – sind dem höheren Dienst zuzuordnen. Die Mehrzahl der weiblichen Mitarbeiterinnen aber sind junge, wenig qualifizierte Schreibkräfte, die in der Zentralstelle erste Berufserfahrungen machen. Sie erledigen die Kanzleiarbeit und verwalten die große Kartei der jüdischen Bevölkerung, die als Arbeitsgrundlage für die Deportationen dient. Sie tippen Transportlisten ab und sind Beisitzerinnen bei den „Kommissionierungen“ in den Sammellagern.

 

Einige dieser Funktionsträgerinnen wechseln, wie ihre männlichen Kollegen, in das Reichssicherheitsamt in Berlin oder die Zentralstelle Prag, wo das Wiener Modell von Vertreibung und Deportation repliziert wird. Jene Frauen, die in Wien zurückbleiben, werden nach Schließung der Zentralstelle 1943 etwa vom SD-Oberabschnitt Donau in der Theresianumgasse beziehungsweise von der Gestapo-Leitstelle Wien am Morzinplatz übernommen. Diese Schlüsselstellen der Sicherheitsexekutive greifen gerne auf bewährtes Personal zurück, wodurch die Geheimhaltung von Verschlusssachen gewährleistet ist.

 

Diese Biografien stellen Fragen nach den Beweggründen von Eichmanns Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Was führt dazu, Komplize oder Komplizin eines Mordapparats zu werden? Welchen persönlichen Vorteil zog der oder die Einzelne für sich selbst? Wie rechtfertigten NS-Täter:innen das augenscheinliche Unrecht, die ständigen Grenzüberschreitungen im privaten und beruflichen Umfeld sowie im öffentlichen Raum? Jede:r Einzelne in Eichmanns Stab hatte Handlungsspielraum und entschied sich bewusst gegen Gerechtigkeit, Empathie und Solidarität, setzte selbst Gewalt- und Unrechtsakte oder nahm sie billigend in Kauf. Mit wenigen Ausnahmen blieben sie im Fall der Männer bis 1945, im Fall der Frauen meist bis zur Geburt des ersten Kindes im Dienst des NS-Terrorapparats.

 

Die Ausstellung entreißt die NS-Täter:innen ihrer Anonymität – nicht um sie zu vermenschlichen, sondern im Gegenteil: um die Verantwortung des Einzelnen zu zeigen. Der Holocaust war kein Ergebnis anonymen Handelns. Er wurde ausgeführt von bereitwilligen Unterstützer:innen des Nationalsozialismus, von Männern und Frauen, die sich ohne Skrupel über die Regeln des persönlichen Anstands und der Rechtsstaatlichkeit setzten. Eichmanns SS-Männer delogierten ihre jüdischen Nachbar:innen, um selbst in deren Wohnungen zu ziehen. Sie eiferten danach, gesellschaftlich höherstehende Menschen zu demütigen oder Kranke und Bedürftige zu quälen, und sie scheuten sich nicht, jüdische Männer, Frauen und Kinder in den sicheren Tod zu schicken. Mehr noch: Sie gefielen sich in ihrer neuen Machtposition. Männer mit wenig Ausbildung und Zukunftsperspektiven waren mit dem „Anschluss“ über Nacht zu „Herrenmenschen“ geworden.

 

Trotz großer biografischer Ähnlichkeiten innerhalb des Personalstabs finden sich doch soziale Abstufungen. Adolf Eichmann und sein Stellvertreter Hans Günther gehören zu den wenigen, die aus dem Staatsdienst kommen, während ihre Nachfolger Alois Brunner und Ernst Girzick bei ihrem Eintritt in die Zentralstelle keinerlei Verwaltungserfahrung aufzuweisen haben. Deren wesentliche Qualifikationen sind ihr Fanatismus und ihre Gewissenlosigkeit. Im Innendienst der Zentralstelle – wie etwa in der Dokumentenannahme und -ausgabe, der Passabteilung oder der Registratur – machen Langzeitarbeitslose wie Ferdinand Daurach, Franz Stuschka oder Josef Weiszl als Büroangestellte Karriere. Den niederen Wachdienst erledigt ein Trupp von SS-Männern: Bullige, brutale Schlägertypen wie Ernst Brückler, Alfred Slawik, Robert Walcher oder Anton Zita „regeln“ den Parteienverkehr in der Prinz-Eugen-Straße, patrouillieren in den Sammellagern und begleiten Deportationszüge in die Konzentrations- und Vernichtungslager.

 

Die Mehrzahl von Eichmanns Mitarbeiter:innen kehrt nach 1945 in den Alltag zurück. Ihr Ziel der Auslöschung jüdischen Lebens haben sie verwirklicht: Wien, die einst größte deutschsprachige jüdische Gemeinde Europas, ist nun „judenrein“. An die einstige Weltstadt erinnert nach der Vertreibung und Ermordung eines Zehntels ihrer Gesamtbevölkerung kaum etwas. Jene Männer der Zentralstelle, die sich vor Gericht verantworten müssen, stellen sich selbst gerne als kleines Rädchen dar: als Mitarbeiter im Innendienst, mit Buchhaltungs- oder Besoldungsfragen beschäftigt, ohne Wissen über den eigentlichen Inhalt ihrer Arbeit, nämlich die „Endlösung der Judenfrage“.

 

Die Aussagen der weiblichen Mitarbeiterinnen erscheinen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ehrlicher. Aus ihnen wird klar, dass sie alle die täglichen Gewaltexzesse an ihrem Arbeitsplatz akzeptierten und die Rechtmäßigkeit der Ermordung der jüdischen Bevölkerung nicht hinterfragten. Da sie – ungleich ihrer männlichen Vorgesetzten – selbst keine Strafverfolgung zu befürchten haben, berichten diese Frauen eher über Arbeitsabläufe an der Dienststelle und geben ihr Wissen über den Massenmord zu. Ein Eingeständnis der eigenen Mitverantwortung sucht man allerdings auch hier vergeblich.



Informationsmaterial zu vier Schwerpunkten der Verfolgung 

Ergänzend zu den Täterbiografien werden Facetten des nationalsozialistischen Terrors aufgezeigt. Diese orientieren sich entlang der vier Begriffe Entrechtet – Enteignet – Deportiert – Ermordet, korrespondierend mit vier Textobjekten, die sowohl im Raum als auch straßenseitig lesbar sind. Auf dreißig Informationstafeln werden die Mechanismen des Terrors sowie lokalspezifische Aspekte der Verfolgung gezeigt. Dieser getrennte Abschnitt erlaubt es, Bildmaterial zu zeigen, ohne den Täter:innen Strahlkraft zu geben. Die Opfer sollen räumlich von ihren Peiniger:innen getrennt und vor voyeuristischen Blicken geschützt werden.

 

Das Informationsmaterial erlaubt die Vertiefung einzelner Themen, überlässt es aber den Besucher:innen, jeweils aktiv aus dem Informationsangebot zu wählen. Ziel ist es, verschiedene Aspekte der antisemitischen Verfolgung niederschwellig darzustellen. Thematisiert wird beispielsweise der Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus Beruf und Ausbildung, die Verhängung diskriminierender Steuern und Abgaben oder der Entzug von Eigentum durch „Arisierung“. Die gewählten Beispiele enthalten vielfache Verweise auf konkrete Verbrechen der Mitarbeiter:innen der Zentralstelle für jüdische Auswanderung. Nicht jeder dieser Verweise wird aufgelöst: Manche erschließen sich nur über den Vergleich mit den Täterbiografien.

 

Die Enteignung von Wohnungen etwa zeigt den unmittelbaren persönlichen Profit des Einzelnen. Der Raubzug gegen die jüdische Bevölkerung wird von Hass und Sozialneid geschürt und ist untrennbar mit dem eigenen Aufstieg verbunden. Besonders deutlich erkennbar ist dies im Fall von Alois Brunner und dessen Braut Anna Röder, die 1942 in die enteignete Villa der Unternehmerfamilie Jonas-Weiss übersiedeln. Das großbürgerliche Anwesen im Herzen des Währinger Cottage ist der Inbegriff gehobener Wohnkultur des späten 19. Jahrhunderts. Der Gegensatz zur eigenen Herkunft könnte kaum krasser sein: Brunner I ist Sohn burgenländischer Kleinbauern, seine Frau wächst als Arbeiterkind in einer Zimmer-Küche-Wohnung in Wien, 15., Rudolfsheim-Fünfhaus auf. Für den erfolglosen Schaufensterdekorateur, der als Massenmörder Karriere macht, ist das schöne neue Domizil ein ultimatives Statussymbol: ein Ort der Selbsterhöhung und angemaßten Privilegien, prunkvoll ausstattet mit Teppichen, Möbeln und Bildern aus erbeutetem jüdischem Besitz.

 

Das Beispiel Brunners ist aber nur eines von vielen: Der soziale Aufstieg, wenn auch hierarchisch abgestuft, ist allen Mitarbeiter:innen der Zentralstelle sicher. Dadurch wird nicht nur ihr Einsatz als Vollstrecker:innen von Terror und Vernichtung belohnt, man befeuert auch den perversen Wettlauf um materielle Bereicherung. Wer, wie so viele der Männer, bald nach dem „Anschluss“ heiratet und ein erstes Kind bekommt, kann mit einer „arisierten“ Startwohnung rechnen oder – nach weiterem Familienzuwachs – mit der Übersiedlung in eine größere Wohnung. Ernst Brückler, der 1938 vorerst die Gemeindewohnung des jüdischen Ehepaares Maximilian und Pepi Spitz „arisiert“, zieht 1942 mit seiner Familie in eine Gartenwohnung in Wien, 14., Penzing; Hausherr Ignaz Fein kommt in Theresienstadt ums Leben. Auch Ernst Girzick sichert sich eine Wohnung in Grünlage, deren Vormieter, Hofrat Dr. Hugo Schimmerl, in Maly Trostinec ermordet wird. Richard Hartenberger darf – in Anerkennung seiner Verdienste um die „Judenevakuierung“ – eine ehemalige Sammelwohnung im Bezirk Wien, 6., Mariahilf übernehmen, nach der Deportation der letzten dort Einquartierten, Bernhard und Valerie Herzog. Diese Verbrechen der Täter:innen finden sich im Informationsmaterial auf vielfache Weise widergespiegelt.


Nachkriegsjustiz

Die einzelnen Kurzbiografien lassen erkennen, dass Österreich die Mehrzahl der Täter:innen nach Kriegsende halbherzig zur Verantwortung zog. Mit wenigen Ausnahmen sitzen Eichmanns Männer geringe Haftstrafen ab und kehren spätestens Anfang der 1950er-Jahre zurück in den Alltag, zu ihren Frauen und Kindern. Sie arbeiten wieder in ihren Lehrberufen, sei es als Fleischhauer, Buchhalter oder Elektriker. Sie beziehen Gemeindewohnungen und wenden sich der Kirche zu, aus der sie 1938 ausgetreten sind. Eichmanns ehemalige Mitarbeiter profitieren von den weitreichenden Amnestien für NS-Verbrechen: Die Erlassung von Haftstrafen und -Kosten ermöglicht den meisten, spätestens Mitte der 1950er-Jahre einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Adolf Eichmann selbst wird 1960 von der israelischen Justiz eingeholt.

 

Von den weiblichen Mitarbeiterinnen der Prinz-Eugen-Straße entgehen alle der Strafverfolgung. Anna Brunner und Cäcilie Lentschig sitzen zwar nach Kriegsende in Untersuchungshaft, werden jedoch vom Volksgericht nicht verurteilt. Der Großteil der Frauen kann nach 1945 in die Anonymität abtauchen. Sie widmen sich der Erziehung ihrer Kinder oder kehren ins Berufsleben zurück. Die jüngeren unter ihnen verheiraten sich und nehmen neue Namen an; die überwiegende Mehrheit bleibt in Österreich. 2023 sterben die zwei letzten Mitarbeiterinnen der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, Rosl Günnel (geb. Leitner) und Rosa Holm (geb. Hruška).



Nachhaltiges Gedenken

Ein Täterort muss klar fokussiert sein und sowohl die Verbrechen als auch die Verantwortlichen dezidiert benennen. Er darf keinen narrativen Bogen zulassen, der vom großen Schaudern zur kollektiven Entlastung führt. Österreich hat sich als Gesellschaft dem Zivilisationsbruch zu stellen, der zwischen 1938 und 1945 sowohl in diesem Land als auch andernorts durch Österreicher:innen begangen wurde. Klare Worte, Zahlen und Fakten sind notwendig, um die Verbrechen der Nationalsozialisten zu begreifen.

 

Ohne konkrete Täter:innen relativieren sich die Verbrechen. Wo keine handelnden Subjekte erkennbar sind, bleibt der Holocaust eine bedrohliche, aber vage Erinnerung an eine weit zurückliegende Vergangenheit, in deren Nacherzählung man die Opfer zu oft instrumentalisierte, um die gesellschaftliche Ordnung nach 1945 zu bestätigen. Ein Täterort hingegen fordert die Auseinandersetzung in der Jetztzeit mit den Rahmenbedingungen von NS-Terror und Gewaltherrschaft, die letztlich zum Genozid führten. Die Installation „Schaltstelle des Terrors“ dient der Bewusstmachung von Geschichte im unmittelbaren Umfeld sowie von deren Nachwirkungen im Heute und begegnet den Täter:innen aus der Perspektive der Opfer.

 

Der Terror fand im Zentrum der Stadt, vor aller Augen statt. Die Mitarbeiter:innen der Zentralstelle waren nicht „ominöse“ Nazis, sondern tatsächlich lebende Männer und Frauen mit Namen und Anschrift. Sie stellten sich in den Dienst eines Terrorregimes, sie besorgten die Entrechtung, Enteignung, Erniedrigung, Vertreibung und letztlich Ermordung ihrer Nachbar:innen. Und sie stahlen sich vielfach nach 1945 aus der Verantwortung, so wie sich auch der österreichische Staat seiner Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus weitgehend entzog. Zu lange trachtete man danach, den Holocaust als „dunkles Kapitel“ in der Geschichte dieses Landes ad acta zu legen. Diesen Mantel des Schweigens, der die Täter:innen schützte und die Opfer verhöhnte, gilt es mit diesem Täterort zu brechen.